Halt finden in unruhigen Zeiten – über Selbstwirksamkeit und Resilienz

Veröffentlicht am 13. Dezember 2025 um 20:28

Viele Menschen spüren derzeit ein Gefühl von Erschöpfung und gedrückter Stimmung. Nicht unbedingt, weil im eigenen Leben gerade alles schwierig wäre – sondern weil die Welt im Außen so unruhig geworden ist: Nachrichten von Krieg, Gewalt, Naturkatastrophen und Terror sind ständig präsent – auf dem Handy, in sozialen Medien oder in den Fernseh-Nachrichten. Auch wenn wir versuchen, innerlich Abstand zu halten, wirken diese Bilder und Informationen weiter in uns nach. Die Welt wirkt bedrohlich – und wir selbst fühlen uns klein und machtlos.

Warum uns die Unruhe der Welt so erschöpft

Das ist kein individuelles Versagen, sondern eine zutiefst menschliche Reaktion. Unsere Psyche ist nicht dafür gemacht, das Leid der ganzen Welt gleichzeitig zu tragen. Unser Nervensystem ist evolutionär darauf ausgerichtet, auf die Not anderer zu reagieren. Wenn wir von Leid in unserem Umfeld erfahren, entsteht instinktiv der Wunsch, einzugreifen und zu helfen. Dieser Impuls ist seit Tausenden von Jahren tief in uns verankert und hat wesentlich zu unserem Überleben als Menschheit beigetragen. Fehlt jedoch die Möglichkeit, aktiv Einfluss zu nehmen, kann in uns schnell ein Gefühl der Ohnmacht entstehen, unsere Zuversicht schwindet – und wir beginnen, unseren eigenen Platz in der Welt zu hinterfragen.

Früher: Hilfe durch Nähe

Ein Blick in unsere Vergangenheit macht diesen Zusammenhang besonders anschaulich: Hätte man vor 300 Jahren von einer Brandkatastrophe im benachbarten Ort erfahren, konnte man hinlaufen, Wasser holen oder Verletzte versorgen. Denn der Aktionsradius der Menschen war überschaubar – meist auf Entfernungen begrenzt, die zu Fuß oder mit dem Pferd innerhalb eines Tages bewältigt werden konnten. Nachrichten erreichten uns also normalerweise aus einem Umfeld, in dem Hilfe realistisch möglich und tatsächlich wirksam war.

Heute ist das grundlegend anders. Innerhalb weniger Minuten erfahren wir von Katastrophen auf anderen Kontinenten, viele Flugstunden weit entfernt. Unsere Empathie wird aktiviert – doch wir können nicht eingreifen. Wir bleiben emotional beteiligt, aber praktisch handlungsunfähig. Genau hier entsteht ein innerer Konflikt, der unser psychisches Gleichgewicht auf Dauer erheblich belastet.

Warum das Gefühl der Ohnmacht so zermürbend ist

In der Resilienzforschung gilt Selbstwirksamkeit als einer der zentralen Schutzfaktoren für psychisches Wohlbefinden. Gemeint ist damit die innere Überzeugung – und vor allem die erlebte Erfahrung: Ich kann durch mein Handeln etwas bewirken. Dieses Erleben ist weit mehr als positives Denken. Es wirkt regulierend auf unser Nervensystem, stärkt unser Gefühl von innerer Kontrolle und hilft uns, mit emotionalen Belastungen besser umzugehen.

Wenn Selbstwirksamkeit vorhanden ist, fühlen wir uns weniger ausgeliefert. Stress wird als bewältigbar erlebt, nicht als überwältigend. Hoffnung entsteht dann nicht aus bloßem Optimismus, sondern aus tatsächlich vorhandenem Handlungsspielraum. Dauerhafter Konsum von schlechten Nachrichten aus weit entfernten Regionen kann dieses Erleben jedoch untergraben. Wir nehmen Leid, Tragödien und menschlichen Schmerz wahr, ohne eine Möglichkeit zu haben, wirksam darauf zu reagieren. Auf Dauer kann das zu Erschöpfung, Resignation oder depressiver Stimmung führen – besonders in sensiblen Phasen wie dem Jahresende.

Resilienz bedeutet nicht Abstumpfung

Wichtig ist: Resilient zu sein heißt nicht, gefühllos zu werden oder wegzuschauen. Es bedeutet vielmehr, eine Balance zwischen Mitgefühl und Selbstschutz zu finden. Mitgefühl ohne Handlungsmöglichkeit erschöpft. Mitgefühl, das von Selbstwirksamkeit begleitet wird – also dem Wissen, dass wir tatsächlich etwas bewirken können – stärkt uns.

Gerade vor Weihnachten darf deshalb eine zentrale Frage in den Vordergrund rücken:
Wo in unserem Leben sind wir tatsächlich wirksam?

Das kann im eigenen Umfeld sein, in Beziehungen, im Alltag – dabei reichen schon kurze, überschaubare Interaktionen wie bewusstes Hinhören „Möchtest du darüber reden?“, ein kleiner Gefallen „Willst du, dass ich dir dabei helfe?“ oder einfach ein ermutigendes „Du schaffst das!“.

Unser psychisches System gewinnt durch diese Form von gelebter Wirksamkeit Stabilität und Kraft.

Bewusster Umgang mit Nachrichten als Akt der Selbstfürsorge

Sich bewusst vom ständigen Konsum belastender Nachrichten – oft auch „Doomscrolling“ genannt – abzugrenzen, ist kein Zeichen von Gleichgültigkeit, sondern von gelebter Selbstverantwortung. Wer seine eigene psychische Stabilität schützt, bewahrt auch die Fähigkeit zu Mitgefühl, ohne abstumpfen zu müssen. Unsere Resilienz wächst, wenn wir uns auf das fokussieren, was wir tatsächlich beeinflussen können, statt alles gleichzeitig ertragen zu müssen.

Gerade in der Vorweihnachtszeit kann es hilfreich sein, den Blick wieder enger zu ziehen und sich auf das zu konzentrieren, was wir selbst gestalten können: eine Tasse Tee für einen gestressten Kollegen zubereiten, ein gemeinsames Abendessen mit der Familie genießen, die Wohnung weihnachtlich schmücken oder jemandem eine kleine Nachricht der Wertschätzung schicken. Wenn wir Selbstwirksamkeit tatsächlich spüren und leben, kehren Ruhe, Zuversicht und innere Kraft zurück.

Wichtig: Selbstwirksamkeit entsteht nicht im Großen, sondern im Alltäglichen – dort, wo wir uns nicht ohnmächtig fühlen, sondern am eigenen Leben beteiligt sind. In dieser Erfahrung liegt eine ruhige, beständige Kraft. Und genau sie ist ein wesentlicher Baustein von Resilienz.

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